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IMC Studie: Gesellschaftliche Auswirkung informeller Pflege
Informelle Pflege, vor allem Angehörigenpflege, wird auch heute noch welt- und europaweit hauptsächlich von Frauen übernommen. Die unbezahlte Tätigkeit nimmt zum Teil sehr viel Zeit und persönliche Ressourcen in Anspruch, was sich negativ auf die pflegenden Angehörigen auswirken kann. Da allerdings der Pflegebedarf in der Bevölkerung stetig zunimmt und es nicht genug fachlich ausgebildete Pflegekräfte gibt, ist informelle Pflege nicht wegzudenken.
Sozioökonomische Konsequenzen der geschlechterungleichen Verteilung
Barbara Gösenbauer und Alexander Braun vom IMC Krems beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit der Frage, was diese geschlechter-ungleiche Verteilung im Bereich der informellen Altenpflege eigentlich für eine Gesellschaft bedeutet. Informelle Pflege wird dabei als unbezahlte Tätigkeit verstanden, die von Personen ohne professionelle Pflege-Ausbildung geleistet wird und Patient:innen zugutekommt, die aus medizinischer Sicht auf Unterstützung angewiesen sind.
Nachgegangen wurde der Frage, welche sozioökonomischen Outcomes die vorwiegend von Frauen geleistete informelle Pflege auf gesellschaftlicher Ebene nach sich zieht. Dazu führten die beiden Forschenden einen systematischen Literaturreview durch, um den möglichst kompletten Stand der Forschung zu diesem Thema in Europa analysieren zu können.
In ihren Ergebnissen nahmen Forschenden drei Dimensionen wahr, wie sich diese ungleiche Verteilung von informeller Pflegearbeit auf gesellschaftlicher Ebene auswirkt:
1) soziale Normen und Erwartungen, wozu geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und Stigmatisierung gehören,
2) die Teilnahme informell Pflegender am Arbeitsmarkt, wozu unterschiedliche Beschäftigungsraten und Arbeitszeitmodelle bei männlichen und weiblichen Pflegenden zählen, und
3) ökonomische Kosten informeller Pflege, welche sich durch eine Reduktion von Arbeitszeit oder dem kompletten Verlassen des Arbeitsmarktes der Pflegenden ergeben – sowohl für die Einzelnen als auch auf Makroebene – und vom Staat kompensiert werden müssen.
Unterschiedliche gesellschaftliche Reaktionen auf männliche und weibliche Pflegende
Zentrale Erkenntnisse sind zuallererst unterschiedliche gesellschaftliche Reaktionen auf männliche und weibliche Pflegende: Frauen leisten als gesellschaftliche Gruppe mehr informelle Pflegearbeit und sind daher auch stärker von negativen Konsequenzen wie finanziellen Nachteilen, emotionalen und sozialen Belastungen oder auch körperlichen Folgeproblemen betroffen, weshalb Barbara Gösenbauer und Alexander Braun eine „quantitative Diskriminierung“ von Frauen sehen. Da allerdings die gesellschaftliche Norm Pflegetätigkeiten eher von Frauen erwartet, haben pflegende Männer mit „qualitativer Diskriminierung“ zu kämpfen: Wenn sie jemanden pflegen, was besonders in Paarbeziehungen im Alter keine Seltenheit ist, kann es sein, dass sie weniger Unterstützung bekommen; einerseits weil es vom Umfeld eher weniger erwartet wird, andererseits weil sie im Laufe ihres Lebens weniger informelle Netzwerke ausgebildet haben, die diese Unterstützung geben können – weil sie wahrscheinlich weniger oft in Pflegesituationen waren. So fehlt insbesondere bei männlichen Pflegenden oft das spezifische Wissen, wo man gewisse Leistungen findet und wen man fragen könnte.
Außerdem unterscheiden sich männliche und weibliche Pflegende anhand der betroffenen Generationen: Während sich Männer meist im Alter ihre Partnerin kümmern, sind weibliche Pflegende auch oft Töchter oder Schwiegertöchter – das heißt, sie stehen häufiger noch im Erwerbsleben. Jede Stunde, die also für die Pflege aufgewendet wird, fehlt am Arbeitsmarkt, was monetäre Konsequenzen und geringere Aufstiegschancen mit sich bringt. Dies wiederum kann zu einer niedrigeren Pension bis hin zu einem erhöhten Risiko für spätere Armut im Alter führen.
Schaffung von Rahmenbedingungen zur Minimierung der Nachteile für Frauen und Männer
Es ist also wichtig, neben einem Ausbau professioneller Angebote, informell Pflegende bestmöglich zu unterstützen. Dabei sollten sie allerdings nicht in einen Topf geworfen werden: Je nach Geschlecht - und damit verbundener Rollenerwartungen - und Generation der pflegenden Person sowie der individuellen Pflegesituation können sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Schwierigkeiten auftreten, weshalb Maßnahmen unbedingt differenziert werden müssen. Insbesondere für männliche Pflegende muss es Unterstützung geben, um einerseits deren qualitative Diskriminierung und andererseits die quantitative Diskriminierung von Frauen zu vermindern. Da informelle Pflege weiterhin stattfinden wird - und muss -, ist es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die entstehenden Nachteile sowohl für Frauen als auch Männer möglichst geringgehalten bzw. besser verteilt werden.
Das Paper „The Socioeconomic Impact of Informal Long-term Elderly Care and its Gender Distribution. A Systematic Review” ist noch nicht veröffentlicht.