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Jeder Euro zählt: Wie der Staat gut in Gesundheit investiert

Alexander Braun legt den Finger berufsmäßig in offene Wunden. Wohlgemerkt als Gesundheitsökonom, nicht als praktischer Arzt. Pflegenotstand oder Demenzprävention bekommen noch einmal eine andere Dringlichkeit, wenn sie in volkswirtschaftlichen Kosten ausgedrückt werden.
 

„Forschung ist kein Beliebtheitswettbewerb – die Gesundheitsökonomie sieht oft dorthin, wo es weh tut.“ meint Alexander Braun, Forschungsprofessor am IMC Krems.

Als Gesundheitsökonom ist es Alexander Braun gewohnt, den Blick auf gesellschaftliche Probleme zu richten: „Wenn es um staatliche Investitionen in das Gesundheitssystem geht, sind Zahlen häufig eine gute Argumentationsgrundlage. 76.000 fehlende Pflegekräfte bis 2030 verdeutlichen einen Mangel noch einmal auf andere Weise als Erfahrungsberichte“, weiß der gebürtige Schwabe. Der Forschungsprofessor am IMC Krems ist aber kein „Zahlenkasper“, vielmehr tätig an der Schnittstelle medizinisch-pflegerischer Praxis, Sozialversicherung und Gesundheitspolitik. Es geht ihm nicht nur um eindrucksvolle Eurobeträge, sondern auch um ethische Fragstellungen. Etwa den Ausgleich, die zielgerichtete Verteilung und die Abwägung von medizinischen Notwendigkeiten und finanziellen Ressourcen.

Angefangen hat er nach der mittleren Reife mit einer Lehre bei der deutschen Krankenversicherung AOK.  Dem Jugendlichen aus einer Arbeiterfamilie wurde zunächst eine solide Berufsausbildung ans Herz gelegt, die seine Interessen zwischen Rechtsmaterien und Wirtschaft gut adressierte. Als er nach dem Lehrabschluss aufgrund von Umstrukturierungen nicht übernommen wurde, trat er die Flucht nach vorne an. Er holte das Abitur nach und begann Gesundheitsmanagement in Zwickau zu studieren. Recht früh im Studium packte ihn die Lust am wissenschaftlichen Arbeiten. 2013 übersiedelte er für den Master in Sozioökonomie und das Doktorat nach Wien an die Wirtschaftsuniversität: „Ich bin kein deutscher Numerus-Clausus-Flüchtling, mich hat die Liebe hergeführt. Diese erste Liebe ist vorübergegangen, aber ich bin geblieben. 2019 bin ich nach Krems übersiedelt, wo ich 2014 bis 2016 bereits den Master in Management für Gesundheitsunternehmen am IMC Krems abgeschlossen habe.“

Für dich, mich und uns alle

Seine Faszination für das Sozial- und Gesundheitssystem wurzelt darin, dass es mit dem Generationenvertrag, mögliche Phasen von Arbeitslosigkeit oder gesundheitliche Probleme uns alle betrifft. Direkt nach seiner Post-Doc-Zeit, in der er sich am Aufbau des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsökonomie an der Universität für Weiterbildung Krems beteiligte, wurde am IMC Krems eine Professur ausgeschrieben, die genau auf seine Qualifikationen und Publikationen passte: „Mein Leben wurde vielfach von Zufällen bestimmt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so bald den nächsten Schritt meiner akademischen Karriere gehen könnte“, erklärt Alexander Braun. Wer seinen Lebenslauf unter die Lupe nimmt, sieht vor allem eine hohe Leistungsbereitschaft, mit vielen Auszeichnungen, Bestleistungen und Stipendien. Seit 2023 ist er Forschungsprofessor (mit reduzierter Lehrverpflichtung) im Bereich Wirtschaftswissenschaft des IMC Krems.

Demenz gezielt vorbeugen

In einer aktuellen Publikation beschäftigten sich Braun und Forscherinnen von der Universität für Weiterbildung Krems damit, unter welchen Bedingungen Demenzprävention kosteneffektiv ist. Nämlich dann, wenn bei Risikopersonen angesetzt wird: Menschen unter 60 Jahren mit typischen Begleiterkrankungen wie Prädiabetes, aber ohne kognitive Symptome. Die Demenz lässt sich in dieser Risikogruppe nämlich mit Lebensstiländerungen hinauszögern. Dem Einsatz vergleichsweiser geringer finanzieller Mittel stehen als medizinischer Outcome nachweislich mehr sogenannte qualitätsbereinigte Lebensjahre gegenüber.  Alexander Braun ist bewusst, dass er mit seinen Studien das Ruder nicht herumreißen wird. Ein wichtiges Steinchen im Gesamtbild sind sie aber allemal. Dieses Paper wird in der akademischen Community bereits rege diskutiert.

Das Präventions-Paradoxon

Warum setzt Österreich mit seinen beträchtlichen Gesundheitsausgaben nur wenig auf effektive Prävention? „Es ist ein Paradoxon: Wenn ich jetzt eine Intervention setze, sehe ich Ergebnisse erst Jahre später oder die Effekte sind eben nicht sichtbar, weil etwas verhindert wurde. Mein Lieblingsbeispiel ist das Zahnputz-Krokodil, das meinen beiden Töchtern in der Volksschule und Kindergarten die richtige Zahnpflege vermittelt. Das wirkt letztlich auch auf ihr Herzinfarktrisiko, aber eben erst in Jahrzehnten.“ Auch die aufgesplitteten Zuständigkeiten und Fördertöpfe sind hinderlich. Berufsmäßig beschäftigt sich Alexander Braun aber nicht nur mit Problemen, sondern auch mit Vorbildern und Lösungsmodellen. Der Gesundheitsökonom will nicht alles schlechtreden, denn Österreich ist in vielen Punkten durchaus Vorbild für andere Länder. Nachholbedarf gibt es für ihn jedoch bei der „Kund*innenorientierung“. Ein Wettbewerb unter den Krankenkassen könnte hier Innovationskraft hineinbringen.

Als weiteren Aspekt der Demenzprävention will er sich das Thema soziale Kontakte ansehen: „Soziale Isolation und Einsamkeit sind ein Brandbeschleuniger für den kognitiven Abbau. Wir sehen uns also das Sozialkapital näher an – in seinen Ausformungen „bonding“ und „bridging.“ Welche Art von sozialen Kontakten nützen Menschen, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben?  Bonding-Kontakte sind sorgen für Zusammenhalt im engen (Familien) Umfeld, während bridging-Kontakte jene sind, mit denen sich Allianzen bilden lassen, auch als Vitamin B bezeichnet. Weiters will er sich mit Genderaspekten informeller Pflege beschäftigen. Pflegeleistungen zuhause werden zumeist von Frauen unbezahlt für nahestehende Personen erbracht, die eigentlich medizinische Unterstützung bräuchten. Dieser Satz fasst das Drama schon zusammen. Die geschlechterungleiche Verteilung hat manifeste Auswirkungen auf die Gesellschaft, die auch in Zahlen verdeutlicht werden müssen. Sodann braucht es geschlechterspezifische Unterstützungsmaßnahmen. Denn während Frauen quantitativ diskriminiert werden, werden pflegende Männer aufgrund fehlender spezifischer Unterstützungsangebote qualitativ diskriminiert.

Vitamin B und Diskriminierung

Forschung ist kein Beliebtheitswettbewerb – die Gesundheitsökonomie sieht oft dorthin, wo es weh tut. Die Verdreifachung der Personen mit Demenz bis 2030 ist eine konkrete Ansage, versteckte Kosten und verdeckte Probleme gehören sichtbar gemacht, wie bei der Verlagerung arbeitsintensiver Leistungen in die eigenen vier Wände. Wenn Alexander Braun genug von den inner workings des Gesundheitssystems hat, geht er ins Wasser. Mit 13 Jahren begann er als Aushilfsbademeister im Freibad auf der Schwäbischen Alb. Nun ist er bereits seit mehr als 30 Jahren bei der Wasserrettung aktiv. In Krems hat er sein Betätigungsfeld erweitert, arbeitet als Schwimmlehrer in der Prävention von Unfällen und nimmt bei der Kremser Wasserrettung an Übungsmanövern für gefährliche Bergesituationen teil.

Autorin: Astrid Kuffner

Zum Artikel im Online Magazin ASK Art and Science Krems